11.11.2010

Osteuropa - wo liegt das?

Hier folgt noch sozusagen das Schlusswort zu dieser Reise. Es wird wohl kaum das letzte Mal gewesen sein, dass wir Richtung Osten aufgebrochen sind. Das langsame Reisetempo und diesmal die Rückreise durch komplett andere Gegenden als die Hinreise erlaubten uns einen interessanten Perspektivenwechsel. Und am interessantesten beim Reisen sind ja die Unterschiede zum eigenen Land. Die Wahrnehmung dieser Unterschiede variiert aber stark und ist von der momentanen Umgebung geprägt.
So ist es uns zum Beispiel in der ostrumänischen Stadt Iasi, die sich nur etwa 20 km von der Grenze zur Republik Moldau entfernt befindet, passiert, dass die Hotelreceptionistin sich entschuldigte, dass es etwas kompliziert sei zwischen zwei Tramhaltestellen zu unterscheiden. Sie fügte noch hinzu: "Das ist halt Rumänien." Wir verstanden zuerst nicht ganz, was sie meinte, denn für uns schien alles perfekt, die Tramhaltestellen waren einfach auffindbar, weil sie als solche gekennzeichnet waren.
Später wurde uns bewusst, dass wir gerade noch andere Erfahrungen präsent hatten: In vielen osteuropäischen Ländern (weiter östlich als Rumänien gelegen) gibt es keine offiziellen Haltestellen, aber die Leute wissen trotzdem, wo sie auf ihr Verkehrsmittel warten müssen.

Darum fragt man sich in diesem Zusammenhang: Wo liegt denn Osteuropa? Und wo ist die östliche Grenze von Europa? Zur letzten Frage habe ich bereits über ein Zitat in diesem Blog geäussert:
http://drum-bun.blogspot.com/2010/10/georgien-sakartvelo-grusinja-gurcistan.html
Als wir 2005 die Ukraine bereisten, wurden wir darauf aufmerksam gemacht, dass es in den Karpathen, südlich von Lviv, einen Punkt gibt, der als Mitte Europas berechnet wurde, wenn man als östlichen Europarand den Ural nimmt.

Unterwegs im Zug von Lviv nach Yaremcha, in den ukrainischen Karpathen, nahe am Mittelpunkt Europas.

Und umgekehrt las ich soeben in einer Schweizer Zeitung etwas über Slowenien, und für dieses Land benutzte der Redaktor das Synonym "das osteuropäische Land". Slowenien - Osteuropa? Wir konnten fast keinen Unterschied zu Österreich feststellen!
Diese Betrachtungen sind natürlich oberflächlich, meistens visuell-touristischer Art und ziehen zum Beispiel politische Strukturen nicht mit ein. Trotzdem möchte ich aber damit sagen, dass - häufig wenn es um eine negative Abqualifizierung geht - "Osteuropa" weniger pauschal verwendet werden sollte. Über die Lage des europäischen Mittelpunkts wird übrigens immer noch debattiert, wie dieser Link zeigt: http://de.wikipedia.org/wiki/Mittelpunkt_Europas
Und wie merkt man schliesslich beim langsamen Reisen, dass man von Osten wieder Richtung Westen kommt?
Es gibt viele kleine Details:
Wir fanden es z.B. in der Türkei oder in Georgien schon sehr bequem, dass wir beim Parkieren des Autos in einer neuen Stadt nicht nach einem Automaten für das Entrichten der Gebühr (hätten wir denn das Funktionieren des Automaten überhaupt verstanden?) Ausschau halten mussten. Stattdessen ist immer ein Mensch in der Nähe dafür zuständig und kassiert für seinen Dienst ein paar Münzen. Solche Begegnungen erlauben immer auch noch ein kurzes Gespräch und so bekommt man noch eine Information, die gerade nützlich ist.
Oder die Qualität der Strassenmusik ist weiter im Osten eindeutig besser: Haben Leute im Osten mehr Zeit zum Üben? Oder sind es tatsächlich Profis, die ihr schlechtes Gehalt damit aufbessern müssen? Wie auch immer, wenn in Zagreb ein Strassenmusiker sein Gedudel meint mit schlechter Technik und Elektronik aufmöbeln zu müssen, hat man bereits keine Lust mehr, etwas zu geben.
Oder die Hunde: Hundehalter im Stil wie man es in der Schweiz, Frankreich, Deutschland, etc. antrifft, gibt es im Osten wenige. Bauern, Schäfer, Kuhhirten halten sich Hunde mit klar definierten Aufgaben. Andere Leute hingegen haben keinen Bedarf für diesen Luxus, bzw. scheinen nach wie vor mehr Wert auf zwischenmenschliche Beziehungen zu legen. Kommt man aber Richtung Westen, trifft man immer mehr auf Leute, die sich einen Hund als Zeitvertrieb, Beziehungsersatz oder aus anderen nicht erklärbaren Gründen halten (müssen). Die Strassen in den Ortschaften weisen zum Teil entsprechende Spuren auf, dort, wo sich das System "Robidog" noch nicht durchgesetzt hat...
Natürlich gäbe es noch viele weitere Beispiele, die einem erst mit der Zeit wieder in den Sinn kommen.

Und schliesslich noch zur Abbildung von "Osteuropa" auf Karten: Es gibt nur ganz wenige Europakarten, die übers Schwarze Meer hinausgehen und Länder wir Armenien und Georgien auch noch abbilden. Andererseits haben wir auf der Rückreise kurz vor der Schweiz festgestellt, dass unser Osteuropa-Kartenatlas seine eigene "Definition" von Osteuropa hat: Da gehört sogar ein gutes Drittel der Schweiz dazu! Ja, der Westrand der Osteuropakarte zieht sich als Linie von ungefähr von Kreuzlingen über Uzwil-Nesslau-Flims-Safien nach Splügen... ;-)


1 Kommentar:

  1. Liebe Sandra,

    mit Spannung habe ich deine tollen Reiseberichte gelesen. Ich war selber über Neujahr in der Kaukasusregion unterwegs, da ich mit einer Gruppe von 5 Studierenden aus verschiedenen Ländern Europas derzeit ein Projekt bearbeite, welches sich mit der Frage "Wie weit reicht Europa?" beschäftigt. Wir haben darüber mit sehr vielen Menschen in Tiflis und Baku gesprochen. Mitte Mai werden wir dieses Projekt in Berlin präsentieren, es wird auch Teil einer Publikation werden. Nun habe ich eine Frage an dich: ich bin zufällig auf dein Foto mit der "Tankstelle Eurasia" gestoßen. Es verdeutlicht sehr schön diese Thematik. Daher möchte ich dich gerne fragen, ob wir deine Erlaubnis bekommen, es eventuell zu verwenden.

    Melde dich doch einfach bei mir, wenn du Fragen hast: dorothea.kuelbel@gmx.de

    Ganz liebe Grüße,
    deine Dorothea

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